Warum die Reform der Netzentgelte längst überfällig ist
Die Reform der Netzentgelte, wie sie aktuell von der Bundesnetzagentur diskutiert wird, hat die deutsche Wirtschaft aufgeschreckt. Stimmen aus der Politik, etwa vom CDU-Wirtschaftsrat, sprechen von einem „verheerenden Signal für den Wirtschaftsstandort Deutschland“. Ich sage: Diese Panikmache ist fehl am Platz. Was wir hier sehen, ist der notwendige Versuch, ein antiquiertes System zu modernisieren und endlich mit der Realität der Energiewende in Einklang zu bringen.
Ein System auf Abwegen: Warum die aktuellen Netzentgelte nicht mehr zeitgemäß sind
Das derzeitige System gewährt großen Stromverbrauchern wie der Papier-, Chemie- oder Aluminiumindustrie Rabatte von bis zu 90 Prozent auf ihre Netzentgelte – vorausgesetzt, sie halten ihren Stromverbrauch konstant. Was ursprünglich als Maßnahme zur Netzstabilität eingeführt wurde, ist heute ein Hemmschuh für die Flexibilität und Effizienz im Energiesystem. In einem Markt, der zunehmend auf erneuerbare Energiequellen setzt, macht diese Regelung schlichtweg keinen Sinn mehr. Es wird Zeit, dass wir uns von dieser überholten Praxis verabschieden.
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Ein besonders eindrückliches Beispiel ist die chemische Industrie, die seit Jahren von diesen Rabatten profitiert. Die BASF, ein global agierendes Chemieunternehmen mit Sitz in Ludwigshafen, hält ihren Stromverbrauch konstant hoch, um die Netzentgeltrabatte zu nutzen – selbst wenn es wirtschaftlich sinnvoller wäre, die Produktion anzupassen. An Tagen mit viel Windenergie und entsprechend niedrigen Strompreisen könnten die Anlagen gedrosselt und zu Zeiten höherer Nachfrage verstärkt genutzt werden. Aber das bestehende Subventionsregime macht eine solche Flexibilität unattraktiv. Das Ergebnis? Ineffizienz und höhere Kosten für alle anderen Stromverbraucher.
Warum Flexibilität das neue Gebot der Stunde ist
Flexibilität ist der Schlüssel zu einem modernen Energiemarkt. Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt, dass es auch anders geht: In Dänemark, einem Vorreiter der Energiewende, hat die Regierung schon vor Jahren Anreize geschaffen, um den Stromverbrauch der Industrie an die Verfügbarkeit von Windenergie anzupassen. Dänische Unternehmen nutzen Zeiten niedriger Preise, um energieintensive Prozesse durchzuführen, und drosseln den Verbrauch, wenn der Wind nachlässt. Das Ergebnis: Eine stabile Stromversorgung, niedrigere Kosten und eine höhere Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Es ist, als hätte die deutsche Industrie diese Lehren bisher ignoriert – und das auf eigene Gefahr.
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Hier in Deutschland jedoch führen die gegenwärtigen Rabatte dazu, dass Unternehmen ihre Produktionsprozesse künstlich stabil halten, unabhängig davon, was auf den Strommärkten passiert. Wer flexibler agieren könnte, tut es nicht – aus Angst, die Rabatte zu verlieren. Das ist, als würde man ein Auto bei laufendem Motor stehen lassen, nur weil der Tank noch halbvoll ist, obwohl eine sparsamere Fahrweise möglich wäre. Das schadet nicht nur der Umwelt, sondern belastet auch unnötig das eigene Portemonnaie.
Ein Umdenken ist notwendig: Die Reform der Netzentgelte als Chance
Die geplante Reform könnte hier eine dringend notwendige Kurskorrektur einleiten. Die Unternehmen würden nicht mehr dazu gezwungen, ihre Maschinen rund um die Uhr laufen zu lassen, um die Rabatte zu sichern. Sie könnten stattdessen ihre Produktionsprozesse flexibler gestalten und dabei die Vorteile niedriger Strompreise zu bestimmten Zeiten nutzen. Wer also immer noch glaubt, dass die Reform ein „verheerendes Signal“ ist, hat den Blick auf die wirtschaftlichen Chancen verloren, die diese Anpassung mit sich bringt.
Ein weiteres konkretes Beispiel ist die Stahlindustrie in den USA, die bereits auf eine flexible Nutzung von Strom setzt. Nucor, ein amerikanischer Stahlproduzent, hat in den letzten Jahren erhebliche Einsparungen erzielt, indem es die Produktion nach den schwankenden Strompreisen ausrichtet. Mit einer Kombination aus Energiemanagementsystemen und einer Anpassung der Produktionszeiten konnte das Unternehmen seine Stromkosten senken und gleichzeitig die Betriebseffizienz steigern. Dieser Weg steht auch deutschen Unternehmen offen, wenn sie bereit sind, den überkommenen Ballast der alten Rabatte abzuwerfen.
Die Debatte braucht Klarheit, nicht Panik
Was in der aktuellen Debatte oft untergeht, ist der Unterschied zwischen den Flexibilitätsanreizen und der Subvention der stromintensiven Industrie. Es ist völlig legitim, die energieintensive Industrie in Deutschland zu unterstützen – sie ist ein wichtiger Bestandteil unserer Wirtschaft. Aber die Frage ist doch, wie wir das tun.
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Die bisherigen Rabatte sind zu einem Selbstzweck geworden und fördern nicht mehr die notwendigen Anpassungen an die neue Energiewelt. Wir sollten nicht länger nach dem Gießkannenprinzip verfahren, sondern gezielt unterstützen, wo es wirklich nötig ist.
Ein Appell für eine mutige Reform
Die Wahrheit ist: Die geplante Reform der Netzentgelte ist eine große Chance für Deutschland, sich im globalen Wettbewerb besser zu positionieren und gleichzeitig die Energiewende voranzutreiben. Statt in Panik zu verfallen, sollten wir uns die Frage stellen, wie wir diese Veränderung als Chance begreifen und nutzen können. Es ist an der Zeit, dass die Unternehmen, die sich bislang auf die alten Regelungen verlassen haben, den Mut aufbringen, sich an die neue Realität anzupassen.
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Die Reform der Netzentgelte wird nicht zur Deindustrialisierung führen. Im Gegenteil, sie schafft die Basis für ein zukunftsfähiges Energiesystem, in dem Unternehmen ihre Produktionsweisen effizienter und kostengünstiger gestalten können. Und das ist kein verheerendes Signal – das ist die Zukunft.
Quellen:
- IHK Dortmund | Bundesnetzagentur plant Reform der Netzentgelte für Industrie
- Klimareporter | Der schwierige Weg zu fairen Netzentgelte
- Wirtschaftsdienst | Verteilung energiewendebedingter Netzkosten – allein eine Frage der Fairness?
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