Um die globalen Klimaziele zu erreichen und eine zuverlässige Energieversorgung sicherzustellen, ist ein massiver Ausbau und eine Modernisierung der elektrischen Infrastruktur erforderlich. Laut einer Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) müssen bis zum Jahr 2040 weltweit etwa 80 Millionen Kilometer an Stromnetzen neu errichtet oder modernisiert werden. Diese Studie weist darauf hin, dass die bestehenden Netze mit dem rasanten Anstieg erneuerbarer Energien wie Solar- und Windkraft nicht mithalten können. Viele Faktoren, wie die Elektrifizierung des Verkehrs könnten ein Beschleuniger sein.
Die Rolle der Regierungen und Unternehmen
Fatih Birol, der Direktor der IEA, betont die Bedeutung einer koordinierten Anstrengung von Regierungen und Unternehmen. Nur durch eine solche Zusammenarbeit kann sichergestellt werden, dass die globalen Stromnetze für die Herausforderungen der neuen Energiewirtschaft gerüstet sind.
Elektrifizierung von Verkehr und Heizung
Die zunehmende Bedeutung von Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen führt dazu, dass Elektrizität in Bereiche vordringt, die bisher von fossilen Brennstoffen dominiert wurden. Dies erfordert den Ausbau von Stromleitungen und funktionierenden Verteilernetzen, um eine zuverlässige Energieversorgung zu gewährleisten.
Risiken unzureichender Netzinvestitionen
Die IEA-Studie simuliert auch die Konsequenzen unzureichender Netzinvestitionen und zu langsamer Regulierungsanpassungen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Ein verlangsamter Ausbau erneuerbarer Energien würde den Verbrauch fossiler Brennstoffe und damit die CO₂-Emissionen erhöhen.
Die EU-Strommarktreform: Ein Schritt in die richtige Richtung?
Die jüngste Einigung auf eine EU-Strommarktreform zeigt, dass die Modernisierung der Netzinfrastruktur Hand in Hand gehen muss mit einer effizienten Marktgestaltung. Deutschland und Frankreich, die beiden Schwergewichte in der EU, hatten unterschiedliche Ansichten zur Reform, konnten sich jedoch auf einen Kompromiss einigen.
Differenzverträge als neues Steuerungsinstrument
Das Hauptinstrument der Reform sind die sogenannten Differenzverträge. Diese Verträge sollen vor allem die Investitionssicherheit für erneuerbare Energien wie Wind- und Solarkraft erhöhen. Aber auch die Atomenergie, insbesondere in Frankreich, könnte davon profitieren. Die Frage, ob Differenzverträge nur für neu errichtete Energieanlagen wie Solar- und Windparks gelten sollen, hat in der politischen Landschaft für Diskussionen gesorgt. Die Bundesregierung hat sich für diese Beschränkung ausgesprochen.
Der jüngste Kompromiss auf EU-Ebene erlaubt jedoch auch die Anwendung dieser Verträge auf bestehende Anlagen, allerdings in einem eingeschränkten Umfang. EU-Energiekommissarin Kadri Simson betonte, dass die EU-Kommission sicherstellen wird, dass keine unangemessenen Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Dies soll verhindern, dass eine nationale Industrie gegenüber anderen EU-Ländern unverhältnismäßig bevorzugt wird.
Wirtschaftliche Bedenken und nationale Interessen
Die Sorge der Bundesregierung lag weniger in ihrer politischen Position zur Atomenergie als vielmehr in wirtschaftlichen Überlegungen. Es bestand die Befürchtung, dass Frankreich die Mittel des staatlich kontrollierten Energiekonzerns EDF nutzen könnte, um diese an seine Industrieunternehmen weiterzuleiten. Die Bedenken gingen so weit, dass Frankreich einen niedrigen Garantiepreis mit EDF vereinbaren könnte, um einen konstanten Geldfluss an den Staat zu gewährleisten. Dies würde dem ursprünglichen Ziel, den Energieunternehmen stabile Einnahmen für den Ausbau erneuerbarer Energien zu sichern, widersprechen. In Deutschland wird die Berücksichtigung der Wettbewerbsregeln im Kompromiss als Erfolg angesehen.
In Frankreich hingegen spricht man von einem “französischen Sieg”. Die Vereinbarung soll die Bürger vor hohen Stromrechnungen schützen. Derzeit ist EDF verpflichtet, einen Teil seiner Kernenergieproduktion zu einem Festpreis von 4,2 Cent pro Kilowattstunde abzugeben. Diese Regelung endet im Jahr 2025, und die neue Vereinbarung könnte es schwierig machen, diese fortzusetzen.
Vorteile der Digitalisierung und des neuen Marktmodells
Die Digitalisierung der Stromnetze und die Einführung von Differenzverträgen bieten zahlreiche Vorteile. Durch die Digitalisierung können Netzengpässe besser gemanagt und der Stromverbrauch optimiert werden. Differenzverträge wiederum bieten Planungssicherheit für Investoren und können so den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen.
Neuer Ansatz der EU zur Preisstabilisierung im Energiemarkt
Die Europäische Union plant, die Volatilität der Energiepreise durch den Einsatz von Differenzverträgen zu minimieren. Anstatt direkt in den Energiemarkt einzugreifen, sollen diese Verträge als Puffer dienen. In einer solchen Vereinbarung legen Staaten und Energieunternehmen eine feste Preisobergrenze fest. Wenn der Marktpreis unter dieser Grenze liegt, gleicht der Staat die Differenz zum Anlagenbetreiber aus. Überschreitet der Marktpreis die festgelegte Grenze, fließen die zusätzlichen Gewinne in die Staatskasse. Diese Einnahmen können dann dazu verwendet werden, die Energiekosten für Verbraucher, sei es in Haushalten oder in der Industrie, zu subventionieren.
Aktuelle Regelungen im Europäischen Strommarkt und die Rolle der Merit-Order
Bisher wird der europäische Strommarkt durch das sogenannte Merit-Order-Prinzip reguliert. Hierbei wird die Reihenfolge der Kraftwerkseinsätze nach den Produktionskosten bestimmt. Anlagen, die Strom kostengünstig erzeugen können, wie Wind- und Solaranlagen, werden bevorzugt. Bei steigender Nachfrage kommen teurere Energiequellen wie Atomkraftwerke, Kohlekraftwerke und insbesondere Gaskraftwerke zum Einsatz. Der Marktpreis orientiert sich dabei am teuersten Energieträger, oft sind das die Gaskraftwerke. Obwohl dieses System stark von den Preisen fossiler Energieträger beeinflusst wird, sehen Energiemarktexperten den Mechanismus grundsätzlich als sinnvoll an, da er erneuerbare Energien fördert. Versuche, das Merit-Order-Prinzip zu ändern und die Preise für Strom und Gas zu entkoppeln, konnten sich bisher nicht durchsetzen.
Offene Fragen und zukünftige Herausforderungen
Trotz der Einigung auf die Strommarktreform bleiben viele Fragen offen. Es ist unklar, inwieweit bestehende Atomkraftwerke in Frankreich von den Differenzverträgen profitieren können. Zudem muss die Reform noch vom EU-Parlament abgesegnet werden.
Fazit
Die Modernisierung der Stromnetze und die Reform des Strommarktes sind zwei Seiten derselben Medaille. Beide sind notwendig, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten und die Klimaziele zu erreichen. Die EU-Strommarktreform ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber es bleibt noch viel zu tun.